Reisebericht Hong Kong

Sie haben den Dollar, aber ihren eigenen. Sie fahren links, aber das nur mit einem einzigen japanischen Automodell. Touristen nehmen die supersteile Seilbahn auf den Victoria Peak, um sich dort dann auf Augenhöhe mit den Büros im ICC-Tower zu finden. Im Reisepass hat man einen chinesischen Stempel, Einheimische fragen aber, ob man später auch China besuchen will. Und eigentlich ist alles sehr britisch und damit nicht europäisch, fragt man die Briten.

Hier Soundtrack starten:

httpv://www.youtube.com/watch?v=xIN9Yfa8XsI&fmt=22

Google geht.

In Hong Kong ist also alles ein bisschen anders als man denkt. Das schöne dabei: es ist meist besser. Obwohl 95% der Einwohner Chinesen sind, hat man nicht das Gefühl, irgend etwas mit dem Staat China zu tun zu haben. Man bekommt normales TV ins Hotel, Polizisten können Englisch und sind freundlich, ja sogar Google geht. Diese Stadt lässt sich, zumindest für den Anfang, eigentlich recht gut mit Zahlen und Superlativen erfassen:

Fakten.

  • Mit über 7 Mio. Einwohnern auf recht kleiner Fläche (der besiedelte Streifen auf Honk Kong Island ist im Schnitt nur 1,3 km breit) gehört Hong Kong zu den dichtest besiedelten Städten der Welt.
  • Obwohl das so ist, ist sie auch eine der grünsten Metropolregionen Asiens. Das liegt daran, dass große Teile der Stadt auf so steilem Grund liegen, dass dieser nicht bebaut werden kann. Daher wurde z.B. der Stadtteil Soho mittels der längsten Rolltreppe der Welt erschlossen.
  • Doch auch abgesehen davon ist HK die »vertikalste Stadt der Welt«: von den weltweit 100 höchsten Wohnbauten stehen hier 36. Das ICC-Building ist mit 484 m das vierthöchste Gebäude der Welt.
  • Bis 1992 gab es die Kowloon Walled City, einen weitestgehend gesetzesfreien, wildwuchernden Gebäudekomplex, in dem 33.000 Menschen hausten. Das machte hochgerechnet 1,3 Mio. Menschen pro km² und somit den dichtest besiedelten Raum aller Zeiten (zum Vergleich: in Monaco leben 16.000 Menschen pro km²).
  • Obwohl HK eines der wichtigsten Finanzzentren der Welt ist, gibt es in den Randbezirken geschätzt 100.000 Menschen, die als so genannte Cage People in aufeinander gestapelten Käfigen leben, weil sie sich die ortsüblichen Mieten nicht leisten können.
  • Noch ein Widerspruch: obwohl Chinas Einkind-Politik hier NICHT gilt, hat Hong Kong zusammen mit dem benachbarten Macao die weltweit niedrigste Geburtenrate.
  • Da aufgrund einer 100%-Steuer auf Neuwagen nur die Superreichen Autos besitzen, sind die öffentlichen Verkehrsmittel unglaublich effizient und günstig. Fährefahren quer über den Hafen kostet umgerechnet 18 Cent.
  • Es gibt offensichtlich nur Einbahnen in Hong Kong. Habe zumindest nichts anderes gesehen und trotzdem fast immer in die falsche Richtung geschaut. Man fährt hier nämlich links. Aber zumindest sind die »Look left« und »Look right«-Schriftzüge am Boden, wie alle Beschilderungen, auch auf Englisch vorhanden. Und das, obwohl nur 3% aller Bewohner täglich Englisch sprechen.

Man zieht die Vorhänge nicht zu.

Ich merke gerade, was HK von anderen Großstädten unterscheidet. Immer, wenn ich über Paris, Rom, Prag oder ähnliche Städte geschrieben habe, war das eine atmosphärische Auseinandersetzung mit der Stadt, mit der Art der Menschen. Irgendwie ist das hier anders. Alles ist schnell mit Zahlen erklärt. So digital ist Hong Kong. Es lebt von seinen Superlativen, von der Geschwindigkeit und der Rastlosigkeit.

Die Stadt ist immer hell (eine Art Orange-Gelb übrigens), weil man ja Deals mit Leuten in anderen Zeitzonen machen muss. Aber genau deshalb ist das Hotelzimmer im 30sten Stock dann auch so großartig.

Als jemand, der den Unterschied zwischen Mezzanin, Parterre, Souterrain und Beletage kennt, als jemand also, der aus einer Stadt kommt, die sich auf hohem Niveau mit niedrigen Niveaus beschäftigt, da zieht man die Vorhänge nachts nicht zu. 7.650 Wolkenkratzer stehen in Hong Kong … letzte Zahl. Versprech ich mir selbst.

Es gibt nämlich schon auch noch ein anderes Gesicht. Ein tradtionelles, chinesisches. Es hustet einen zwar manchmal an, spuckt und rülpst, aber nachts, da ist es anders. Da stehen dann tausende Menschen lautlos Schlange, um in einem Tempel Räucherstäbchen anzuzünden. Kerzen schwimmen in den Teichen der Parks und Menschen setzen sich über das nächtliche Tai Chi-Verbot hinweg (es gibt für fast alles Verbots- und Warnschilder). In diesen Momenten ist Hong Kong sogar richtig schön.

Versteht mich nicht falsch.

Hong Kong ist nämlich absolut großartig. Es ist nur eben nicht immer hübsch gut erzogen. Dafür immer aufregend. Und wirklich vom Geld regiert. Man kann sich fast ohne Unterbrechung in höchstklassigen Malls von einem Ende von Central zum anderen bewegen. Draußen stehen die Bentleys und Rolls Royces, deren Fahrer auf die reichen Berufsehefrauen (»Tai-Tais«) warten, die nur deswegen so viel einkaufen müssen, weil Hong Kong flächenmäßig so klein ist. Deshalb läuft man sich schon auch mal mehrmals täglich über den Weg (meist beim shoppen, hier schließt sich der Kreis) und wird dabei besser nicht zweimal im selben Kleid gesehen.

Zuhause schmeckts am Besten.

Dass diese Stadt cool ist, zeigt sich schon daran, dass es »Private Kitchen Restaurants« gibt. Das sind im Prinzip Wohnungen, die Private kurzerhand in Restaurants mit wenigen Tischen umwandeln. Das Ganze wird dann nur durch Mundpropaganda öffentlich gemacht und solange verfeinert, bis die Behörden draufkommen und den Laden dicht machen. Daher auch kein Türschild, Essen nur gegen Reservierung und Kontrolle per Rückruf möglich. Einige davon haben sich mittlerweile eine Lizenz geholt, wie z.B. Yellow Door Kitchen, bei denen ich war. Da bekommt man dann (ohne Wahlmöglichkeit) 16 wunderbar authentische Gänge für knapp 30 € … allerdings in typischem Hong Kong-Takt: 1 Stunde 15 Minuten. Und wieder raus in die Nacht.