Wir richten ja gerade das neue Büro unserer Corporate Design Agentur und Branding-Agentur fertig ein, vor ein paar Tagen kam die Kaffeemaschine. Dass es eine von Nespresso wird, darüber wurde eigentlich gar nicht wirklich nachgedacht. Ja. »What else«. Haben sie gut gemacht. Überhaupt: Nespresso ist derzeit die Königin unter den Marken.
Warum? Weil das Unternehmen aus der Nestlé-Gruppe irrwitziges Wachstum hat (tw. über 40% pro Jahr), seine Verkaufslokale an den besten Adressen irgendwo zwischen Hermés und Bulgari installiert und das mit dem Verkauf von: Kaffee.
Kaffee …
… ist weder neu noch besonders hip. Schon ewig ein Produkt für die Massen. Er ist vergleichsweise billig und schon seit langem unproblematisch in der Zubereitung. Doch Nespresso hat es im letzten Jahrzehnt geschafft, uns das, was wir immer schon hatten, ganz neu zu verkaufen.
Kleine Mengen.
Kaffee war ein Allerweltsgetränk, das viele schlicht zum Aufwachen brauchen. Nun ist es ein Luxus- und Lifestyle-Produkt. Wer sich eben keinen Schal um 500 € bei Hermés leisten kann, holt sich nebenan bei Nespresso ein bisschen Exklusivität, die er aber ähnlich teuer bezahlt. Da es allerdings immer um vergleichsweise kleine Mengen geht, fällt das erstmal gar nicht so auf.
Der Preis.
Rechnet man es sich aber durch, sieht die Welt schon anders aus:
- Eine Kapsel Nespresso-Kaffee kostet im Schnitt € 0,35
- Sie enthält 5 Gramm Kaffee
- Das ist ein Kilopreis von € 70.-
- „Normaler“ Kaffee kostet da meist zwischen € 10.- und € 15.-
- Der von Nespresso in 12 verschiedenfarbige Papierbriefchen gepackte Zucker kostet € 6,50.- und enthält insgesamt 300 Gramm
- Das ist ein Kilopreis von € 22.-
- für ZUCKER! Der kostet normalerweise ca. € 1.-/kg
Und trotzdem kaufen bei Nespresso auch Normalverdiener ein. Nur, weil ihnen George Clooney ganz selbstverständlich impliziert, es wäre normal, diese Preise zu bezahlen? (»Nespresso – What else?!«)
httpv://www.youtube.com/watch?v=wERxQk3pN0g
Warum es funktioniert
- Das Markenimage ist sehr stark. Ein alltägliches, wenig komplexes oder edles Massenprodukt wurde durch Design und Marketing mit einem Lifestyle aufgeladen, zu dem sich Käufer zugehörig fühlen wollen.
- Wir sind gerne Teil einer erfolgreichen Bewegung. Heute muss man sich fast rechtfertigen, wenn man eine Nicht-Nespresso-Kaffeemaschine besitzt. Wer allerdings dazu gehört, lässt das Markenimage auf sich abfärben und kann an Zubereitungs- und Kapseldiskussionen ebenso teilnehmen wie am Fachsimpeln über die neueste Exklusiv-Tassenserie (um € 65.- für zwei Espressotassen).
- Man möchte auch das makellose Produktdesign nicht durch Fremdkörper beeinträtigen. Das schicke Bild, das im Shop beginnt und beim Zuckerbriefchen endet, soll durch nichts zerstört werden, was nicht von Nespresso-Designern passend gestaltet wurde. Ergebnis: Cross-Selling. Auch das Logo ist wunderschön:
- Der Name ist natürlich auch nicht unclever. Erstens ist er eine Verquickung von »Nestlé« und »Espresso« und zweitens passiert im Englischen das, was man im Video oben hören kann: »I just want an Espresso« wird automatisch zu »I just want a Nespresso«.
- Durch das umfassende Branding aller möglichen Produkte rund ums Kaffeetrinken entsteht ein Markenkosmos, der die ergebenen Jünger alles mögliche beziehen lässt, was sie bisher nicht gebraucht haben. Durch die Sprachregelung vom »Nespresso-System« wird vermittelt, dass man idealerweise alle Teile daraus besitzt – damit das System bestmöglich funktioniert. Und dass man sich wo anders gar nicht umsehen braucht (»Nespresso – What else?!«).
- Die Zubereitung des Kaffees ist simpel. Die Maschinen sind reduziert aufs Notwendigste und einfach zu bedienen.
- Nespresso-Produkte ersteht man nicht in Shops oder Stores, sondern in »Nespresso Boutiquen«. Diese sind mit großer Sorgfalt designed und bis hin zum Papiersackerl hat man eher das Gefühl, ein exquisites Kleidungsstück erworben zu haben als ein süchtig machendes Getränk, das schlechten Atem, Herzrasen und verfärbte Zähne bringt.
- Es gibt den Kaffee in mehreren, aber nicht überfordernd vielen Geschmacksrichtungen. Diese werden dem Käufer einfach und prägnant (Punkte-System für Intensität, Farbcodes für z.B. koffeinfrei) erklärt.
- Die Kapseln mit ihren Farben tragen nicht unwesentlich zur Verkultung bei. Man kennt »seine« Kapselfarbe und darf damit rechnen, dass man den Kaffee überall so zubereitet bekommt, wie man es gewohnt ist. Die Farbwahl wird dabei im besten Fall mit einem wissend anerkennenden Nicken quittiert.
- Womit wir beim erfolgreichen Rebranding des Kaffeetrinkens als edles Ritual sind. Hier bedient sich Nespresso zum Teil in der Welt des elaborierten Weintrinkens. Die Kaffeesorten werden z.B. als »Grand Crus« bezeichnet.
- Die Maschinen sind vergleichsweise günstig, besonders wenn man sich nach ähnlich schicken Geräten anderer Hersteller umsieht. Das ist Teil der Lock-In-Strategie, die man von Tintenstrahldruckern kennt: Gerät günstig, Verbrauchsmaterial obszön teuer. Die Kapseln nicht nicht kompatibel mit anderen Systemen, also entkommt man den Preisen nur, indem man auf eine andere Marke umsteigt und sich eine neue Maschine kauft (»Nespresso – what else?!« ist also durchaus ehrlich). Und da wir nur ungern langfristig denken und es den Kaffee in kleinen Füllmengen, dafür in großen Verpackungen gibt, ignorieren wir so unsexy Dinge wie Kilopreise.
- Achja, und er Kaffee ist auch gut. Aber halt nicht 4- oder gar 20-mal besser als normaler.
Was daran bewundernswert ist
Hier spielte weniger eine technologische Innovation oder überlegene Produktqualität die entscheidende Rolle, sondern hauptsächlich das Marketing und Branding. Und das verdient große Anerkennung aus der Branche.
Der Aufstieg von Nespresso begann nämlich erst 1991, als Marketing-Fachmann Jean-Paul Gaillard das Ruder in die Hand nahm. Das System selbst wurde schon in den 70ern entwickelt, floppte allerdings mehrmals. Und heute glaubt man ihnen, sie wären ein Öko-Unternehmen, obwohl sie Kaffee zu je 5 Gramm in Aluminiumbehälter abfüllen und verkaufen.
Wie seht ihr das?
Wie gesagt: obwohl mir klar ist, dass die Nespresso-Sachen ziemlich überteuert sind, haben wir uns im Büro dafür entschieden. Wie sieht es bei euch aus? Stellt ihr Image über Vernunft? Geschmack über Wirtschaftlichkeit? Oder seid ihr generell anderer Meinung bezüglich des Nespresso-Hypes?