Manipulation in der Fotografie, Teil 1: Beauty- und Werbefotografie.

In meinem letzten Artikel habe ich angekündigt, Stellung zu beziehen zum Thema Manipulation in der Fotografie. Wo das Geld zu Hause ist, sind die Möglichkeiten natürlich am größten, daher nehme ich mir zuerst die Beauty- und Werbefotografie vor. Kunstfotografie und Fotojournalismus werden folgen.

Für Zeitschriftencovers gilt eigentlich nur eine Regel: Sie sollen am Kiosk die Schlüsselreize liefern, die dazu veranlassen, ein Heft zu kaufen. Und diese Schlüsselreize sind sehr gut bekannt. Daher wird nirgendwo soviel manipuliert wie auf den Titelseiten. Pure Sales-Arbeit. Die Grundlagen dafür, was gut funktioniert, liefern einerseits die Absatzzahlen, andererseits auch die Attraktivitätsforschung und deren Erkenntnisse.

Eine groteske Situation eigentlich: Ein Cover ist für Abgebildete wie für den Fotografen immer am meisten wert, viel mehr als eine Platzierung im Inneren des Magazins – und das, obwohl nirgendwo so wenig von einem selbst einfließen darf: von den Abgebildeten manchmal nur der Kopf (Body-Doubles) vom Fotografen nur wenig seiner künstlerischen Linie (Annie Leibovitz meinte einmal, ihre Arbeit beginne eigentlich erst im Magazin, auch wenn man sie fürs Cover engagiert). Generell ist aber Ziel der Bildbearbeitung im Beauty-Sektor, ein makelloses Bild von Menschen zu schaffen.

In der Werbefotografie geht es natürlich hauptsächlich darum, Produkte perfekt in Szene zu setzen bzw. außergewöhnliche Werbeideen visuell umzusetzen.

Die Möglichkeiten.

Alles ist möglich. Ein Blick in den Bereich »Postproduction« bei Weyer & Grill gewährt interessante Einblicke (leider eine Flash-Seite, bei der man nicht auf Unter-Seiten verweisen kann).

Die Akteure.

Auftraggeber sind Unternehmen und Konzerne jeder Fasson bzw. Zeitschriften aus der Welt des Schönen und Teuren. Gehen wir also einfach mal davon aus, dass Porsche seinen Cayman S ins rechte Licht rücken möchte. Dann löst das eine Kaskade an Arbeitsschritten aus, für deren Kosten man wohl ein Dutzend der größeren Kaliber aus der Modellpalette erwerben könnte. Für die Handvoll Fotos. Da ist dann eben nicht nur ein Fotograf und sein Mann vom Licht involviert – man kann annehmen, dass keines der Fotos in der Umgebung entstanden ist, in der es scheint.

So wie es in der Fertigungsstraße im Werk irgendwann gegen Ende des Produktionsprozesses zur »Hochzeit« und damit zur Vereinigung von Motor und Karosserie kommt, passiert das selbe irgendwann mit den abgebildeten Autos und deren Umgebung. Das heißt: Das Foto ansich ist nur Teilelieferant.

Und so ist es nicht nur in der Werbung, wo für Konzerne Produkte präsentiert werden, so geschieht es auch in der Beauty-Industrie. Post Production-Spezialisten sind der breiten Öffentlichkeit unbekannt, aber in der Branche selbst teilweise Stars. So zum Beispiel Pascal Dangin, der mit seinem Büro oft mehr als die Hälfte aller Fotos, die in Vogue, Vanity Fair oder Harper´s Bazaar erscheinen, bearbeitet. Auch in Deutschland gibt es sehr spezialisierte Unternehmen, wie die zuvor erwähnten Weyer & Grill oder elektronischeschoenheit. Diese sehen sich meist als Unterstützer der Fotografen und somit selbst letztlich als Dienstleister und nicht als Künstler.

Die Methoden.

Das wichtigste Werkzeug in der Fotomanipulation und Retusche ist heute zweifelsfrei Adobe Photoshop. Der Marktführer deckt so gut wie alles ab, was man benötigt, um Menschen schöner zu machen oder Fotos komplett umzubauen. Viel wichtiger als die Technik ist es zu wissen, was ein Foto gut aussehen lässt, warum ein Mensch als attraktiv wahrgenommen wird oder wieso etwas in einem Foto, einem Gesicht nicht stimmt. Selbst Dangin spricht von nur wenigen außergewöhnlichen Aufträgen, für die er spezielle Software braucht. Deshalb werden heute teilweise Vorbereitungsarbeiten für ein Fotoshooting in die Postproduktion ausgelagert: Makeup, Haare und Teile der Beleuchtung werden manchmal vor Ort mit weniger Aufmerksamkeit bedacht, da sie ohnehin digital überarbeitet werden müssen.

Hier ein Screencast einer Beauty-Retusche:

 

Die Bedeutung.

Der Markt für Werbe- und Beautyfotografie ist riesig und kaum ein kein Bild unbehandelt. Das meint zumindest Dangin. Es gäbe keine Ausnahme, jedes Bild, das wir in den Medien sehen, sei manipuliert. Die Erwartungen an Körper und Gesichter haben sich dadurch mehr und mehr aufgeschaukelt, weshalb man heute keinen Prominenten mehr abbilden kann, ohne das Foto zu bearbeiten: er sähe sehr schnell sehr alt aus im Umfeld all der anderen aufgehübschten Fotos. Jeder unbehandelt Abgebildete fällt heute unangenehm auf.

In der Werbung gibt es für Fotografen rund zehnmal mehr zu verdienen als im Journalismus. Werbung sei für viele längst das eigentliche Standbein – das beeinflusse auch die Bildsprache. Wenn er [Anm.: Thomas Meyer, Geschäftsführer der Berliner Fotografenagentur Ostkreuz] sich all die neuen Magazine anschaue, sei das »Werbefotografie im redaktionellen Bereich«. Hier hoffen junge Fotografen, von Werbeagenturen entdeckt zu werden – und Werbefotografen holen sich ein wenig Pressepathos ins Portfolio. (aus »Die Last der Wahrheit«, Die Zeit)

Dementsprechend hat die Werbe- und Beautyfotografie mitsamt ihrer auf Bildmanipulation aufbauenden Ästhetik schon längst auch in andere Bereiche unserer Wahrnehmung Einzug gehalten. Bei der Dichte, in der wir ihre Produkte mittlerweile zu sehen bekommen, kann man getrost sagen: Sie beeinflusst uns ständig. Und selbst wenn man denkt, man wüsste ja um die Tricks, ja: man würde sie manchmal sogar erkennen – meist sind das die Ausrutscher, wo es jemand übertrieben hat. Die 99% der gelungenen, weil gar nicht wahrgenommenen Veränderungen kriegen uns täglich und ohne unser Wissen.

Die Bewertung.

Fotomanipulationen in der Produktwerbung sind meiner Meinung nach absolut legitim: entweder wird ein künstlich geschaffenes und designtes Produkt so ideal wie möglich inszeniert (es ist also nur eine weitere Gestaltungsmöglichkeit im Prozess) oder Photoshop wird zur Übersetzung von hoffenltich kreativen Ideen verwendet. Beides ist nicht verwerflich und eröffnet schlicht Möglichkeiten – sofern nicht mittels Täuschung verkauft werden soll (etwa das Herausretuschieren unliebsamer Umgebung aus Hotelfotos in Reisekatalogen).

Digitale Bildbearbeitung im Beauty-Sektor hingegen führt zur Nivellierung äußerer Merkmale von Menschen, hin zu den kauffördernden Schlüsselreizen. Individuelle Züge verschwinden aus den Gesichtern und Körpern. Oft erkennen sich die Abgebildeten gar nicht wieder. Dadurch wird die Fotografie zum reinen Verkaufs-Instrument degradiert (Motiv ist durch Sales-Politik vorgezeichnet/Unachtsamkeit beim Fotografieren, da es ja die Postproduction gibt/die ewig gleichen gesichtslosen Gesichter) und die Rezipienten werden zur Trivialmaschine: setz ihm einen aus der Hose blitzenden Hüftknochen vor und er gibt Geld aus. Zugegeben: es funktioniert offensichtlich.

Wo es natürlich kritisch wird ist dann die Masse und Dichte an perfekt retuschierten Bildern, die wir mittlerweile vorgesetzt bekommen. Das führte dazu, dass die Bearbeitungen immer heftiger ausfielen, das immer perfektere Gesicht gesucht wurde – und irgendwann die Realität den dadurch geschaffenen Schönheitsidealen nicht mehr nachkam. Dieser Zeitpunkt ist schon lange da. Heute traut sich kaum ein Mädchen ohne Fotoshooting beim Blur-’n-High Heels-Knipser ihrer Wahl zu Facebook.

Links.

Fotografen
Annie Leibovitz, Wikipedia

Post Production
Weyer & Grill, Deutschland
elektrionischeschoenheit, Deutschland

Auftraggeber
Vogue
Harper’s Bazaar
Vanity Fair
Porsche

Videos und Bildgalerien
Schönheitschirurgen am PC, Bildgalerie, Die Zeit
The Photoshop Effect, Youtube
Sammlung von Magazin-Covers

Artikel und Interviews
Die Last der Wahrheit, Die Zeit
Fotos lügen nie. Interview mit Pascal Dangin, Weltwoche, Schweiz

Hintergrundinformationen
Bildbearbeitung, Wikipedia
Fotomanipulation, Wikipedia
Forschungsergebnisse beautycheck.de
Attraktivitätsforschung, Wikipedia
Beautyretusche, Wikipedia
Photo Tampering Throughout History, www.cs.dartmouth.edu